Heute muss Nimby Frust ablassen. Den täglichen Frust der klein- und mittelständischen Arbeitgeber, wie Nimby Stern eine ist. Zugegeben, Nimby hat in den vielen Jahren als Selbstständige einiges erlebt. Aber dieser Donnerstag vergangene Woche, der hatte es doch in sich.

Ihr Tag begann wie immer um 6:00 Uhr. Eine halbe Stunde später die Message des neuen Mitarbeiters: er müsse auf Pflegeurlaub. Klar, Pflege muss sein, also gleich mal zwei Wochen Urlaub nach zwei Monaten im Dienst. Eine zweite Nachricht erinnert sie, dass ein Kollege heute einen Arzttermin hat. Ein Ritual, das sich alle zwei Monate wiederholt. Aber klar, Arzt muss sein, also dienstfrei. Im Büro angekommen, erfährt Nimby, dass zwei Angestellte beim Zahnarzt sind und daher erst mittags erscheinen werden. Klar, Zahnarzt muss sein, also halbtags freigestellt. Es klopft an der Tür. Der junge Kollege sagt, er müsse heute früher los – wegen der Fachhochschule wärs. Auch klar, Weiterbildung muss sein, also früher Dienstschluss. Als Nimby endlich mit der Arbeit starten kann, erinnert sie ihr elektronischer Kalender, dass der Praktikant heute in seinen zweiwöchigen Lernurlaub startet.

Spätestens jetzt macht sich Frust breit. Nimby weiß, die Dienstfreistellung ist aus Sicht jedes Einzelnen gerechtfertigt. Wer kann seinen Mitarbeitern schon absprechen zum Arzt zu gehen, sich fortzubilden, Angehörige zu pflegen, oder Zahnschmerzen zu haben. Dennoch täte es ihnen allen gut, die Welt auch mal aus der Perspektive der Dienstgeberin zu betrachten.

All diese bezahlten Abwesenheiten müssen gemanagt werden, indem andere die Arbeit übernehmen, Termine platzen oder verschoben werden müssen. Wenn dann Arbeiternehmer ihr Recht auf Urlaub und Krankenstand auch noch schamlos ausnutzen, platzt Nimby der Kragen. So wie die werdende Mutter, deren Schwangerschaft sie in regelmäßige Krankenstände treibt. Aber im sechsten Monat mal rasch auf Seychellen-Urlaub, das geht. Inklusive 14 Stunden Hin- und 14 Stunden Rückflug, ganz ohne Komplikationen. Statt dessen: High Life auf der Insel, wie ihr Instagram Account erzählt. Freilich, anschließend wieder im Krankenstand.

Nimby kann es nicht ausstehend, das Jammern der Angestellten, die am Montag mit müden Gesichtern klagen, wie lange die Woche noch dauert. Die sich frustriert geben, wegen ihrer Arbeit und sich denken, wie schön es wäre, Chefin zu sein. Hallo Kollegen, aufwachen!

Wenn ihr die Bürotür hinter euch schließt, beginnt euer Feierabend oder das Wochenende. Das tut es bei Nimby sehr oft nicht. Weiter arbeiten bis 22:00 oder 23:00 Uhr ist keine Seltenheit. Lange Wochen inklusive Sonntagsarbeit gehören zum Alltag. Rasch mal Pflege- oder Lernurlaub spielt sich für sie nicht. Damit ihr all das und noch mehr tun könnt, muss Nimby flexibel bleiben. Muss sie sich überlegen, wer eure Arbeit übernimmt, wenn ihr wieder mal spontan dienstfrei braucht, muss sie sich um zusätzliches Personal kümmern, muss sie Termine verschieben. Und dabei bleibt es nicht. Arbeitgeber sind zusehends mit Vorschriften konfrontiert, die an Absurdität nicht zu überbieten sind. So muss Nimby ein Gefahrenverzeichnis für Putzmittel wie Cif und Co. führen und ihrer Reinigungskraft eine zu dokumentierende Anweisung erteilen, ausschliesslich mit Handschuhen zu arbeiten hat. Ja, und dann ist da noch ihre eigentliche Arbeit, Standard: zehn Stunden pro Tag.

Aber wie sagt man? Unsere Mitarbeiter sind unser wichtigstes Kapital. Wir müssen uns um unsere Leute kümmern, sie sind unser Know-how. Daher werden Firmen bald jeden Kopfstand machen, damit ihr Personal bleibt, sagte mal ein Personalleiter eines großen Software-Unternehmens in einem Spiegel-Interview. Jeden Kopfstand also, denkt Nimby sich und über schon mal zwischen zwei Meetings. Und während sie noch die Welt andersrum betrachte, stürmt die Sekretärin in ihr Büro und kündigt wegen Überforderung. Tun Sie das nur, sage Nimby ohne ins Wanken zu geraten. Und am besten machen Sie sich anschließend selbstständig.